Der sogenannte Widerrufs-Joker macht die Rückabwicklung zahlreicher Kapitallebens- und Rentenversicherungsverträge möglich. Für Vermögensverwalter und deren Kunden eine gute Gelegenheit, unrentable Verträge loszuwerden.
Die Zahlen sind erstaunlich: Laut der Allianz-Versicherung sind bis zu 100 Millionen Kapitallebens- und Rentenversicherungsverträge am Markt (entspricht ca. 400 Milliarden Euro an eingezahlten Beiträgen), die zwischen 1994 und 2007 abgeschlossen wurden, mit fehlerhaften Widerrufsbelehrungen ausgestattet. Und durchschnittlich hält jeder Deutsche mehr als einen Kapitallebens- und Rentenversicherungsvertrag, sodass auch sehr viele Kunden von Vermögensverwalter im Besitz von Policen sein dürften, die nicht der Rechtsvorgabe entsprechen – und dementsprechend auch nach zum Teil mehr als 20 Jahren noch widerrufen und rückabgewickelt werden können.
Der sogenannte Widerrufs-Joker macht das möglich. Der Europäische Gerichtshof EuGH hatte seinerzeit entschieden, dass die Widerrufsbelehrungen in vielen Lebensversicherungsverträgen gegen die europäischen Richtlinien verstoßen und somit ein unendliches Widerrufsrecht gilt. Durch diese vertraglichen Formfehler kann in vielen Fällen das Widerspruchsrecht des Kunden, das bei einer einwandfreien Vertragsgestaltung nach 14 Tagen endet, zeitlich unbegrenzt ausgeübt werden. Das hat bei diesen Altverträgen zur Folge, dass sie auch heute widerrufen werden können, da das Widerrufsrecht niemals endet. Dies gilt sogar für bereits gekündigte, beitragsfreigestellte und ausgelaufene Verträge.
Bei gelungener Rückabwicklung fallen keine Stornokosten an
Der Vorteil für Vermögensverwalter und deren Anleger: Sie können unrentable beziehungsweise kostenintensive und inflexible Kapitallebens- und Rentenversicherungsverträge auflösen, ohne sie mit großen Verlusten kündigen zu müssen. Bei einer herkömmlichen Kündigung werden unter anderem Abschluss- und jährliche Verwaltungskosten einbehalten, sodass nur ein Teil der eingezahlten Beträge auch wirklich zur Verfügung steht. Durch eine gelungene Rückabwicklung wiederum werden überwiegend bis zu 100 Prozent der eingezahlten Beiträge zurückgezahlt, zusätzlich wird noch eine Nutzungsentschädigung fällig. Davon wiederum werden gegebenenfalls durch bereits eingetretene Versicherungsfälle ausgezahlte Leistungen beziehungsweise gezahlte Beiträge für zum Beispiel Todesfall- oder Berufsunfähigkeitsabsicherung von der Summe abgezogen.
Das freiwerdende Kapital können die Kunden dann in einem anderen Konzept neu anlegen und den Vermögensaufbau für den Ruhestand damit weitergestalten. Damit ist eine Rückabwicklung für Vermögensverwalter ein interessantes Vehikel, um finanzielle Mehrwerte für die Kunden zu schaffen. Sie erhöhen damit die Substanz des Portfolios und können weitere Ratschläge im Rahmen ihrer eigenen Strategie für den Umgang mit der neuen Liquidität geben. Und, das ist nicht zu vernachlässigen: Der Vermögensverwalter, der seinem Kunden diese Idee aufzeigt, hebt seine eigene Reputation und kommt der Positionierung als „Trusted Advisor“, also als vertrauensvoller Berater und Vertrauter des Kunden, einen erheblichen Schritt näher – eben weil er Schaden vom Vermögen des Kunden abwendet, denn nicht selten befinden sich 50.000 Euro, 100.000 Euro oder mehr in üppig ausgestatteten Verträgen.
Profis ranlassen: Der Widerruf keine Selbstverständlichkeit
Bei Widerruf und Rückabwicklung kommt es aber auf eine genaue Prüfung des Vertrages an. Nicht jeder widerrufsfähige Vertrag sollte auch wirklich rückabgewickelt werden, denn es finden sich immer echte „Perlen“, die durchaus weiterbespart werden können und sollten. Und zum anderen ist der Widerruf keine Selbstverständlichkeit: Banken und Versicherungen sind selten gewillt, dem Anspruch des Kunden direkt stattzugeben, sondern suchen einen juristischen Ausweg, der nicht selten vor Gericht führen kann. Daher brauchen Vermögensverwaltung einen Partner, der von der Analyse und Bewertung der Verträge bis hin zur außergerichtlichen beziehungsweise gerichtlichen Durchsetzung der Anspruch den gesamten Prozess steuert.
Sinnvoll ist die digitale Rückabwicklung über die sogenannte Legal Technology (Legal Tech), die auf Widerrufe spezialisierte Anwälte bei der Rückabwicklung unterstützt und dabei eine hohe Bearbeitungsqualität und -quantität sichert. Manche Rückabwickler bieten auch die Übernahme des Prozesskostenrisikos an (Kosten von ca. 10.000 Euro pro Fall sind keine Seltenheit) ohne dass der Mandant eine Rechtsschutzversicherung benötigt. Dadurch können Vermögensverwalter die Rückabwicklung in ihren Strukturen standardisieren und ihren Kunden damit zügig Ergebnisse präsentieren.