Warum es sich lohnen kann, antizyklisch zu denken

Norbert Schulze Bornefeld

Wenn Trump, der Brexit, ein Handelskrieg und die italienische Verschuldung bereits an der Börse antizipiert werden, dann stellt sich die Frage: Was kann jetzt noch für Überraschungen und Wirkung an der Börse sorgen? Gute oder schlechte Nachrichten?

Die Wirtschaft lebt von der Hoffnung auf Wachstum und von Vertrauen in die Politik. Vertrauen darauf, dass die politischen Entscheider für Stabilität, Rechtssicherheit und sozialen Frieden sorgen und vor allem: der Wirtschaft keine Knüppel zwischen die Beine werfen. Was passiert, wenn ausgerechnet der Präsident der größten Wirtschaftsnation unberechenbar und mit wütendem Ton Unsinn in die Welt twittert, lässt sich derzeit beobachten. Wenn Trump etwa per Tweet triumphierend verkündet, die USA würden „Milliarden US-Dollar einnehmen“ durch die Strafzölle auf chinesische Produkte, dann schütteln Ökonomen ungläubig den Kopf. Denn letztlich sind es die Unternehmen und Konsumenten in den USA, die diese Steuern bezahlen.

An den Finanzmärkten wird solcher Unsinn schonungslos bestraft. Die Aktienkurse an den US-Börsen sind unter Druck geraten. Der S&P 500 etwa hat in den vergangenen drei Monaten rund zwölf Prozent an Wert verloren. In Europa sieht es kaum besser aus. Der EuroStoxx 50 sank seit Anfang Oktober 2018 um rund neun Prozent, der DAX gab im selben Zeitraum um 12,5 Prozent nach. Dafür sind die Kurse von Anleihen gestiegen und die Renditen gefallen: Zehnjährige Bundesanleihen werfen gerade noch 0,2 Prozent Rendite ab, US-Staatsanleihen bieten Anlegern immerhin 2,6 Prozent – vor ein paar Monaten waren es aber noch deutlich über drei Prozent. Ach ja, und Gold: Die jüngste Preisrally lässt ahnen, wie sehr bei manchen Anlegern allmählich Ängstlichkeit in Panik übergeht.

Was auffällt: Die Argumente für diese Entwicklung sind seit Monaten dieselben. Die hohe Staatsverschuldung allenthalben, „politische Risiken“ wie der Brexit, die populistischen Strömungen in Europa, insbesondere die unsolide Haushaltspolitik Italiens und natürlich der pazifische Handelskrieg, der nur Verlierer kennt – die Platte scheint derzeit in Endlosschleife zu laufen.

Gerade jetzt sollte sich jeder Investor deshalb folgende Frage stellen: Gibt es noch eine schlechte Nachricht, die die Marktteilnehmer überraschen und für Bewegung im Markt sorgen kann? Oder ist es nicht eher so, dass jetzt eigentlich nur noch positive Überraschungen möglich sind? Spielen wir es durch: Was ist, wenn der Brexit ungeordnet verläuft? Dann haben es Alle geahnt. Was aber, wenn im letzten Augenblick eine Lösung gefunden oder der Brexit sogar abgeblasen wird?

Was passiert, wenn Trump durch den Kongress ausgebremst wird? Was passiert, wenn Italiens Regierung kompromissbereit wird? Was passiert, wenn sich die USA und China einigen?

Es ist nicht zu übersehen: Das Überraschungspotenzial ist eindeutig auf der Positivseite. Und es gibt durchaus Argumente dafür, dass die wenigen verbliebenen Optimisten, die antizyklisch denken, zuletzt lachen werden.

So hat die US-Notenbank schon angedeutet, dass sich Zinsen auch wieder zurückdrehen lassen. Mit ihrer Geldpolitik der vergangenen beiden Jahre hat sie sich den Spielraum dafür mühsam erkämpft. Sie ist wieder handlungsfähig. Donald Trump ist gerade dabei, eine Lektion zu lernen: Ohne Mehrheit im Kongress wird er Kompromisse machen müssen. Da kann er noch so sehr vor Wut twittern. Italiens Regierung hat bereits mit der EU einen Kompromiss erzielt. Großbritannien steht im Moment vor der Wahl, einen aus ihrer Sicht schlechten Kompromiss mit der EU einzugehen oder ins Chaos zu schlittern. Es ist anzunehmen, dass sich die Briten aus dieser Zwangslage befreien wollen – vielleicht mit einem Paukenschlag und einer riesigen Überraschung? Und der Handelsstreit mit China könnte schneller beigelegt werden, als Manche derzeit glauben. Denn beide Seiten wissen, dass es hier keinen Sieger geben wird. Es wird allerdings spannend, zu beobachten, wie sich die beiden Kontrahenten gesichtswahrend aus der Affäre ziehen wollen.

Wenigstens hier wird man sich wohl auf Donald Trump verlassen können. Ganz gleich, wie es ausgeht: Er wird es als seinen großen, persönlichen Sieg feiern. Das sei ihm in diesem Fall gegönnt – wohlwissend, dass seine Zeit ohnehin abläuft. Wie schnell, zeigt eine überdimensionierte Digitaluhr im New Yorker Stadtteil Queens. Die Uhr läuft rückwärts und zeigt, wie viel Zeit Donald Trump noch als US-Präsident bleibt, falls es keine – diesmal böse – Überraschung gibt.

Norbert Schulze Bornefeld

Norbert Schulze Bornefeld ist Vermögensverwalter und Geschäftsführer der EICHLER & MEHLERT Finanzdienstleistungen GmbH. Er lenkt dort zusammen mit der geschäftsführenden Gesellschafterin Kathrin Eichler die Geschicke der unabhängigen Vermögensverwaltung.