Die Börse zwischen Sorge und Euphorie

Kathrin EichlerDas, was an vergleichbar bedeutsamen und auch börsenrelevanten Ereignissen normalerweise in Jahren passiert, haben wir 2020 gefühlt wie in einem Schnelldurchlauf erlebt. Es war alles dabei: Zum Jahresbeginn ein Höhenflug an den Märkten, gefolgt von einer Pandemie mit Schockwirkung, Rezessionsängsten und Börsencrash. 

Der Ölpreis stürzte ab, Notenbanken und Regierungen schoben Geldspritzen in Billionenhöhe an. Hierzulande wurden private Unternehmen mit Staatshilfen aufgefangen, der Arbeitsmarkt wurde mit Kurzarbeitergeld stabilisiert, Steuern gesenkt und das Insolvenzrecht teilweise ausgesetzt. International sorgten die US-Präsidentschaftswahl und der Brexit für Wirbel. Fast unbemerkt zog China, im vergangenen Jahr noch Quelle der Pandemie, wirtschaftlich an der Konkurrenz im Westen vorbei und gliederte nebenbei mit neuer Gesetzgebung, rigiden Maßnahmen und Verhaftung aller verbliebenen demokratischen Akteure Hongkong endgültig ins kommunistische Reich ein. Spätestens seit diesem Jahr dürfte auch dem letzten Zweifler klar sein, dass China international nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch zu einem aggressiven Herausforderer herangewachsen ist.

Trotz allem, so scheint es, sind wir als Kapitalmarktteilnehmer wohl mit einem blauen Auge davongekommen. Die sehr umfangreichen Stützungsmaßnahmen haben ihre Wirkung auf die Märkte nicht verfehlt. Die Börsen haben sich schon im vergangenen Jahr erstaunlich schnell erholt. Der MSCI World Index notiert aktuell auf Allzeithoch. Der deutsche Leitindex DAX bleibt vom zwischenzeitlichen Konjunktureinbruch in Deutschland unbeeindruckt. An der Börse wird eben nicht die Vergangenheit gehandelt, sondern die Hoffnung auf die Zukunft.

Nicht alles ist gleich gut

Spricht man von Hoffnungsträgern, muss man genau differenzieren. Aus dieser Pandemie werden nicht alle Branchen und Unternehmen gleich gut herauskommen. Das Coronavirus hat unser aller Leben ein Stück weit verändert. Viele Entwicklungen, die sich vorher schon andeuteten, haben nun einen regelrechten Schub bekommen. Unser Einkaufsverhalten zum Beispiel. Oder unsere Business-Kommunikation. Online-Shopping-Seiten wie Amazon und Zalando oder Anbieter von Konferenzplattformen wie Zoom oder Microsoft profitieren davon. Die Verlierer der Krise sind der stationäre Einzelhandel, Reiseunternehmen, Gastronomie und Hotels. Will man als Investor gut positioniert sein, muss man sich die Stabilität und die Zukunftsfähigkeit der Geschäftsmodelle von Unternehmen nun genauer ansehen. Und wie sie mit der Situation umgehen.

Zu den Hoffnungsträgern gehören Unternehmen wie die Mainzer Firma BIONTECH, ein deutsches Pharmaunternehmen, das nicht nur bei der Impfstoffentwicklung gegen Covid-19 ganz vorne dabei ist, sondern noch eine ganze Palette an geradezu revolutionären Produkten im Köcher hat. Zu den Verlierern gehört der Münchener Zahlungsdienstleister Wirecard. Der ungeheuerliche Skandal pulverisierte einen Milliardenbörsenwert, der per Jahresende nur schwer aufzuholen war. Hoffnungsträger und Risikofaktor zugleich ist wohl Tesla – zweifellos ein Zukunftsunternehmen mit hohen Ambitionen in einem Wachstumsmarkt. Vielleicht werden wir uns alle in wenigen Jahren ausschließlich mit Elektrofahrzeugen fortbewegen. Doch die aktuelle Marktkapitalisierung von Tesla wirkt zumindest mutig. So liegt die Börsenbewertung pro verkauftem Fahrzeug von Tesla derzeit bei über einer Million US-Dollar. Zum Vergleich: Volkswagen ist Aktionären derzeit nur 10.000 US-Dollar pro verkauftem Fahrzeug wert.

Vorsichtig optimistischer Ausblick

Wir blicken grundsätzlich optimistisch auf die vor uns liegenden Monate. Denn die Notenbanken werden an ihrer ultra-expansiven Geldpolitik festhalten und die wachsenden Schuldenberge auch weiterhin finanzieren. Ein höheres Zinsniveau erscheint sogar auf Jahre hinaus schlicht nicht möglich, und die Fiskalpolitik wird weiter unterstützend wirken. Mit fortschreitender Impfung der Weltbevölkerung wird sich unser Leben nach und nach wieder normalisieren. Nachholeffekte beim Konsum werden die Wirtschaft anschieben – vorausgesetzt, dass die laufende Impfkampagne global deutlich an Fahrt gewinnt und nennenswerte Rückschläge ausbleiben. Befeuernd dürfte die derzeit rekordverdächtig hohe Sparquote der privaten Haushalte wirken.

 

Fazit: Wie viel Luft nach oben für den Gesamtmarkt noch besteht, lässt sich derzeit aufgrund der zahlreichen Unwägbarkeiten zwar nicht seriös sagen. Wir sind aber für ausgewählte Marktsegmente sehr zuversichtlich. Einmal mehr gilt es, den Blick nicht blind in Richtung einzelner Indizes zu lenken, sondern vielmehr auf Zukunftsthemen zu richten. Branchen- und Stock-Picking sind jetzt gefragt. Wir haben hier jedoch nicht nur die Chancen, sondern auch die Risiken im Blick. Dazu zählt vor allem die rekordhohe Verschuldung der Staaten. Man wird sehen, wie die Regierungen damit umgehen. In der Summe gehen wir mit Optimismus, aber selbstverständlich nicht völlig sorgenfrei in das Börsenjahr 2021.

Kathrin Eichler

Kathrin Eichler ist Vermögensverwalterin und geschäftsführende Gesellschafterin der EICHLER & MEHLERT Finanzdienstleistungen GmbH. Mehr von Kathrin Eichler auf www.die-vermoegensverwalterin.de. Die EICHLER & MEHLERT Finanzdienstleistungen GmbH ist ein unabhängiger Vermögensverwalter mit Sitz in Düsseldorf-Oberkassel. Das inhabergeführte Unternehmen betreut seine Kunden unter anderem auch bei Themen des Generationenwechsels im Zusammenhang mit Vermögensübertragungen, Regelung der Unternehmensnachfolge und Stiftungsgründungen. Weitere Informationen sind auf der Website des Unternehmens erhältlich unter www.eichler-mehlert.de.